Noch bevor ich dich anmache,

Der Typ zur Unbekannten:

Hör mal, Schätzchen,
das will ich dir gleich sagen,
noch bevor ich dich anmache,
noch bevor ich dir vorschlage – schau mir in die Augen – etwas trinken zu gehen,
noch bevor ich geschickt die billigsten Anmachertricks aus dem Internet auspacke,
noch bevor ich in dir einen Menschen entdeckte, viel komplexer als ich dachte,
noch bevor ich zu dir kam ein bisschen breit eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit
noch bevor du mich rausgeschmissen hast
noch bevor ich dir meinen ersten ironischen Kuss zuwarf am Abend unseres ersten richtigen Raubtierstreits
noch bevor du dich in irgend jemanden noch viel komplexeren verliebst als du dachtest
noch bevor ich dir meine soft-harte auf jeden Fall Hammer Art ausfahre, wie ich dir Arsch und Muschi lecke, Brüste, Wangen, Nackenmuskeln, Achselhöhen
noch bevor du meinen Bastardennamen stöhnst und ich erstarre und weiter mache und dich wieder
meinen Bastardennamen stöhnen höre
bevor ich am Morgen zu dir in die Dusche trete und dich einmal von Hand und einmal von Schwanz zum Höhepunkt bringe und dann
durch den Vorhang stürze auf die Kacheln
bevor du mich deinen Eltern vorstellen willst und bevor ich dir den Coach mache für deine beruflichen Projekte auch
gegen meine eigenen Interessen
noch bevor ich dir des Langen und Breiten und Queren erkläre, dass eine Liebe nur drei Monate hält und ein Paar nur
ein christlicher Leichnam ist und dass ich jedenfalls eher für einen Dreier bin
noch bevor ich zum zweiten Mal Taschentücher kaufte für deine verdammten bitteren Tränen
noch bevor ich dir total verfiel und verdummte sodass ich meine Würde öfter verlor als damals, allein
noch bevor du mir schriftlich und telefonisch und per Mail und SMS und sogar live erklärtest, dass es vor mir überhaupt nicht dasselbe gewesen sei und
seit mir überhaupt nicht mehr so wie vorher
noch bevor du mich chronisch zudröhnst mit deiner Weigerung, dich für die kritische Soziologie marxistischer Prägung interessieren zu wollen
noch bevor mir deine Muschi zu fehlen beginnt, wenn ich mal nicht da bin
noch vor unseren ersten sechs Monaten und unserer ersten Trennung
noch vor dem letzten Mal, als wir uns sahen
(wobei du dachtest, was für ein Arsch, und ich, dass du Schnepfe auch nicht gerade helle bist) –
Noch bevor wir uns beide weigern, all das zu klären mit staubverklebten und bakterienverseuchten Augen
Noch bevor all das geschah
Während du mich so verwirrt anschaust wegen meiner schlauen und raffinierten Art dich zu bequasseln
hör gut zu, mein Engel, ich hab dir was zu sagen:
Ich verlass dich.

 

(Übersetzung: Andreas Müntzner, bei einer Lesung im Französischen Institut Berlin im Juni 2010 )

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